Lehrerbildungsanstalt Pasewalk
1943–1945

»Freundeskreis der früheren Schüler der ehemaligen LBA Pasewalk«

LBA-Zeit

Wir Schüler der LBA Pasewalk hatten alle den Wunsch, nach erfolgreicher Ausbildung den Beruf eines Volksschullehrers ausüben zu dürfen. Nach achtjährigem Besuch der Volksschule und erfolgreich absolviertem zweiwöchigem »Musterungslehrgang« freuten wir uns darüber, die Einberufung zu der am 03.05.1943 neu gegründeten LBA Pasewalk erhalten zu haben. Dies galt nicht nur für die ersten 66 Schüler der Klassen 1a und 1b (kurz A-Zug und B-Zug genannt), sondern auch für die zum 04.10.1943 einberufenen 35 Schüler der Klasse 1c (C-Zug) und für die etwa 60 Schüler der nächsten Jahrgangsstufe (4. und 5. Zug), die am 26.04.1944 folgten. Optimistisch wie wir im jugendlichen Alter einmal waren, gingen wir Schüler davon aus, dass wir nach fünf Jahren LBA-Zeit die Ausbildung mit der 1. Lehrerprüfung beenden würden.

Die erste Zeit auf der LBA verlief viel versprechend. Uns war wohl bewusst, dass wir uns im vierten. bzw. fünften Kriegsjahr befanden, aber ein katastrophales Ende befürchteten wir nicht. Die Sommerferien 1944 endeten jedoch für uns schon nach 10 Tagen, als wir per Telegramm nach Pasewalk zurück beordert wurden. Dort wurde uns eröffnet, dass wir zum Schanzeinsatz befohlen würden, um den »Pommernwall« zu bauen zum Schutz gegen die sowjetische Armee. Unser Einsatzort war ab 10.08.1944 Neu-Riege (bei Rederitz) im nördlichen Teil des Kreises Deutsch-Krone, wir wurden in einem Zeltlager im Wald untergebracht, wie andere Jugendliche aus Pommern auch, insgesamt etwa 1000 Mann. Am 03.10.1944 wurden wir dann nach Kegelsmühl im südlichen Teil des Kreises verlegt, einem Dorf in der Nähe von Schneidemühl. Dort wurden wir auf Bauernhöfen untergebracht. Unser Schanzeinsatz endete im November 1944, wir kehrten nach Pasewalk zurück. Bis Mitte Dezember wurde wieder Unterricht erteilt, doch schon am 14. Dezember fuhren wir in die Weihnachtsferien nach Hause, da die Fernreisezüge vom folgenden Tage an vorwiegend von Fronturlaubern benutzt werden sollten.

Nach Ende der Weihnachtsferien trafen wir am 16. Januar 1945 wieder in der LBA ein. Überraschend mussten wir feststellen, dass im A-, B- und C-Zug zahlreiche Mitschüler fehlten; der Grund: die Angehörigen des Geburtsjahrganges 1928 waren während der Ferien größtenteils zum RAD oder zur Wehrmacht einberufen worden. Wir übrigen Schüler begannen wieder mit dem Unterricht, doch weitere Unterbrechungen folgten. Am 23. Januar mussten wir unser Wohnheim räumen, angesichts der nahenden Front wurde dort ein Reservelazarett eingerichtet. Wir Schüler wurden daraufhin im Schulgebäude untergebracht, und zwar in der Aula und in den Tages-Arbeitsräumen. Wenige Tage später, am 27. Januar, wurde uns eröffnet, dass wir uns Schaufeln besorgen müssten, da wir erneut zu einem Schanzeinsatz bei Arnswalde verpflichtet würden. Diese Order wurde einen Tag später als überholt zurückgenommen, da die deutschen Truppen bei Arnswalde bereits in schwere Kämpfe mit der sowjetischen Armee verwickelt waren.

An eine Weiterführung des Unterrichts war trotzdem nicht zu denken. In dieser Zeit waren Hunderttausende Deutsche aus Ostpreußen, Westpreußen, dem Warthegau und Hinterpommern auf der Flucht vor der Roten Armee, sei es einzeln zu Fuß oder auf Pferdefuhrwerken, sei es in Trecks, sei es mit der Reichsbahn. Pasewalk war ein Eisenbahnknotenpunkt, hier kreuzte die Eisenbahnlinie von Berlin nach Stralsund mit der Strecke von Stettin nach Neubrandenburg und weiter nach Güstrow, ferner führte eine Strecke von Pasewalk über Jatznick nach Ückermünde. Unzählige Güterzüge und Personenzüge mit Flüchtlingen, von den Strapazen der Flucht geschwächt, und mit verwundeten Soldaten machten hier Halt zum Umsteigen in einen anderen Zug. Hier war Hilfe dringend erforderlich, so wurden wir Schüler eingesetzt, um den Flüchtlingen beim Umsteigen zu helfen und um sie mit Verpflegung und heißen Getränken zu versorgen. Dieser »Bahnhofsdienst«, der in Tag- und Nachtschicht verrichtet wurde, dauerte vom 28. Januar bis zum 29. März 1945, so dass wir in dieser Zeit gar keinen Unterricht hatten. Eine Woche nach Ostern (Ostersonntag war der 1. April) sollte wieder der reguläre Unterricht beginnen. Kurz vor Kriegsende wurden am 16. April 1945 etwa weitere 60 Schüler für zwei neue Klassen einberufen, es ist aber nicht bekannt, wie viele dieser Schüler angesichts der nahen Front bei Stettin überhaupt angereist und geblieben sind.

Nur wenige Tage blieben uns für den Beginn des neuen Schuljahres, als schon wegen der Nähe der Front an der Oder die ersten Vorbereitungen für die Verlegung der Schule eingeleitet wurden. Am 25. April 1945 fuhren die Schüler der Jahrgänge 1930 und 1931 mit einigen Tutoren und Lehrern mit der Bahn nach Binz auf Rügen, während wir vom Jahrgang 1929 als Angehörige des Volkssturms aus militärischen Gründen noch in Pasewalk bleiben mussten. Wir waren mit verschiedenen Aufgaben betraut, etwa 30 Jungmannen wurden bewaffnet und einem so genannten Panzerjagdkommando zugeordnet, andere wieder waren als Helfer bei der Freiwilligen Feuerwehr, als Luftschutzmelder oder als Melder im Panzerwarndienst eingesetzt. Gegen Abend des 25. April begannen ununterbrochene Fliegerangriffe auf Pasewalk, die in der Dunkelheit endeten, am nächsten Tage erneut begannen und den ganzen Tag über andauerten. Die Mitglieder des Panzerjagdkommandos erhielten ihre Einsatzbefehle von ihren militärischen Verbänden. Wir übrigen Schüler erhielten sodann am Abend des 26. April 1945 den Marschbefehl nach »Haus Seydtlitz« in Binz, weil die sowjetischen Truppen nur noch wenige Kilometer von Pasewalk entfernt waren, unterwegs haben wir zurückweichende deutsche Truppen überholt.

In den folgenden Tagen auf Rügen angekommen, sollten wir Schüler weiter nach Neustadt (Holstein) verlegt werden. Die jüngeren Jahrgänge mit einigen Tutoren wurden am 29. April auf dem Landwege mit der Reichsbahn in Marsch gesetzt. Sie haben das Ziel aber nicht erreicht, der Zug ist nur bis Graal-Müritz in Mecklenburg gekommen, wo die Rote Armee der Fahrt ein Ende bereitete. Wir übrigen Schüler des Jahrganges 1929 sollten einige Tage später folgen; weil dies auf dem Landwege nicht mehr möglich war, sollten wir mit dem Schiff transportiert werden. Am Abend des 2. Mai sind wir – es waren noch etwa 45 LBA-Schüler, 2 Lehrer von der LBA Pasewalk und 1 Lehrer von der LBA Gartz – mit einem alten Frachtschiff »Santander« von Sassnitz abgefahren, zusammen mit vielen Flüchtlingen und verwundeten Soldaten. Als Fahrtziel wurde Neustadt (Holstein) angegeben, tatsächlich lagen wir am nächsten Morgen jedoch auf der Reede vor dem Hafen von Kopenhagen.

Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht wurden wir in Dänemark interniert, zuerst bis zum 21. Mai 1945 im Freihafen, anschließend bis zum 20. Juli in einer Kaserne in Avedöre (bei Kopenhagen). Hier haben unsere begleitenden Lehrer angefangen, uns weiter zu unterrichten, es wurde eine Oberschule in Aufbauform gegründet, da die Lehrerbildungsanstalt aufgehört hatte zu bestehen. Am 20. Juli 1945 wurden wir dann in ein Flüchtlingslager Grove (bei Karup) auf Jütland verlegt, ein Lager mit etwa 7000 Flüchtlingen. Dort konnten wir weiterhin im Lager die dort gegründete Oberschule besuchen, bis wir im Januar 1947 nach Deutschland zurückkehrten. Einige Mitschüler, die Kontakt mit ihren Eltern in Deutschland hatten, durften schon in der Zeit von Oktober bis Dezember 1946 das Lager verlassen, vier Schüler blieben noch bis 1948 im Lager.

In Deutschland angekommen, trennten sich unsere Wege, jeder musste versuchen, zu seinen Familienangehörigen zu gelangen, die Schüler aus Vorpommern konnten nach Hause zurück. Soweit wir aus Hinterpommern stammten, konnten wir nicht in unsere Heimat zurückkehren. Die Eltern waren zum Teil in der sowjetischen, andere in der britischen Besatzungszone. Von den Mitschülern, die beim RAD oder der Wehrmacht oder im Panzerjagdkommando waren, war uns ohnehin das Verbleiben nicht bekannt. Wenn anfangs der eine oder andere noch Kontakt mit einem Mitschüler hatte, so ging dieser doch bald verloren, schließlich hatte in dieser schweren Zeit wohl jeder größere Sorgen, wenngleich mancher auch gern an die gemeinsame LBA-Zeit gedacht hat!

© W. Selke